Offene Wege

Arbeitsmarkt absorbiert immer mehr Menschen mit Behinderungen

Alexandre Herculano

28.04.2014 | Montag | 13:34 Uhr | Aktualisiert am 22.09. um 16:08 Uhr (Uhrzeit Brasília)

Auf der ganzen Welt leben 650 Millionen Menschen – das sind ungefähr 10% der Weltbevölkerung – mit irgendeiner Art von Behinderung. Davon befindet sich die Mehrheit (ungefähr 80%) in Entwicklungsländern. Diese Zahlen wurden von den Vereinten Nationen (UNO), sowohl von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), als auch durch die Internationale Arbeitsorganisation (OIT) der Vereinten Nationen veröffentlicht. Auch nach Schätzungen der Weltbank (Bird), leiden 20% der ärmsten Menschen des Planeten an einer Behinderung. 

Bei den äußeren Gründen, die häufig zu einer Behinderung führen, sind Unfälle mit Transportmitteln und Stürze verantwortlich, und von daher ist niemand vor einem solchen Vorfall gefeit. Anlässlich des Internationalen Behindertentages (3. November) sprach der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon, zu diesem Thema: „Wir alle sind für eine Behinderung anfällig, sei sie temporärer Natur, oder permanent, und besonders dann, wenn wir älter werden. (...) Ein Viertel der Weltbevölkerung ist direkt davon betroffen, einschließlich des Pflegepersonals, sowie der Familienmitglieder. (...) Die Erfahrung zeigt uns, wenn Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit erhalten am Prozess der Entwicklung teilzunehmen und ihn selber bestimmen können, wird die Gemeinschaft im Allgemeinen zuversichtlicher sein. Das Engagement dieser Menschen lässt Möglichkeiten für alle entstehen, seien diese behindert oder nicht“. 

Im Falle Brasiliens zeigten die Statistiken, die bei der letzten allgemeinen Volkszählung im Jahre 2000 vom Brasilianischen Institut für Geografie und Statistik (IBGE) erhoben wurden, dass 24,5 Millionen Mitbürger erklärten, an irgendeiner Art von Behinderung zu leiden. Dies stellte vor 10 Jahren 14,5 % der Bevölkerung dar. Insofern werden auf der ganzen Welt, vor der Dimension und der diesbetreffenden Bedeutung dieser Frage, und unabhängig von Schwere und Art der Behinderung, zunehmend die Resultate der öffentlichen Politik zur sozialen Einbindung diskutiert und beurteilt.

In Brasilien vertritt man die Auffassung, dass es innerhalb dieses Prozesses Fortschritte zu verzeichnen gibt. Bei einem Interview im Programm Solidarische Gesellschaft, des Fernsehsenders Guter Wille TV, kommentierte die Fachberaterin, Carolina Ignarra, Direktorin von Talento Incluir und selber Rollstuhlfahrerin, die Art und Weise, wie die Firmen mit dieser neuen Realität umgehen. „Im Bundesland Sao Paulo, einem Bundesland mit über neuntausend Firmen, gab es nach Zahlen der regionalen Arbeitsorganisation, zu Beginn der Inspektionen im Jahre 2001, 12 Betriebe die insgesamt 600 Behinderte eingestellt haben. Gegen Ende des Jahres 2009 waren es bereits um die 7000, die die vom Gesetz bestimmte Quote erfüllten. (...) Und wir haben jetzt bereits über einhundertzweitausend Behinderte, die arbeiten. Die Betriebe fangen an die Prozesse zu verstehen, die für eine, für die Einbindung notwendige Struktur erforderlich sind“.

Não deixe nada para depois. Procure resolver cada tarefa o mais rápido possível. Assim, evitará o risco de acumular deveres, sobrecarregando-se. Aliás, tendo algum tempo livre, planeje as atividades futuras.

Aber dennoch, so die Spezialistin, bleiben auch die Herausforderungen konstant. „Es gibt zwei soziale Barrieren: die physische, und die der inneren Einstellung. Die physische Barriere bedeutet das Fehlen von Zugang. Zugang bereiten wir uns selber, das ist einfach. Natürlich, braucht es dazu Investitionen, aber es ist einfach aus einer Treppe eine Rampe zu machen“, erklärt die Beraterin. „Das größte Problem aber“, sagt sie, „stellt die Barriere der inneren Einstellung dar, die Veränderung der Kultur. Und dies ist ein wenig komplizierter. Es ist etwas anderes, das Verhalten der Menschen zu verändern. Das ist die tatsächliche Herausforderung“. 

Frau Ignarras eigene Erfahrung beinhaltet ein Beispiel, das die Notwendigkeit für eine Kultur des Friedens aufzeigt, und diese Darlegung fördert: „Ich habe einmal ein Telefongespräch angenommen und die junge Frau am anderen Ende hatte nicht gewusst, dass sie mit einer Firma verbunden, und ich im Rollstuhl saß. Sie hat folgendes zu mir gesagt: Ich möchte Menschen mit einer nur leichten Behinderung einstellen. Daraufhin habe ich gefragt, was sie denn unter einer leichten Behinderung verstehe? Und sie antwortete: Na, die nicht stören. Wie meinen Sie das? Ich bin im Rollstuhl. Warten Sie einen Moment, ich will mal meine Kollegin fragen ob ich störe“, so erinnert sie sich.

Arbeit und Überwindung
Nach Meinung der Direktorin von Talento Incluir, bedeutet eine Arbeit bekommen zu haben, eine tiefgreifende Verbesserung der Lebensqualität eines Behinderten. „Für mich stellt die Arbeit ein Werkzeug der Überwindung dar. Natürlich gab es auch die Struktur der Familie, die Ausbildung, Freunde, das Interesse der Menschen an meiner Seite zu stehen. All dies trug mit dazu bei alles schneller überwinden zu können (...). Es ist möglich das Haus zu verlassen, man muss es nur wollen (...) und verstehen, dass Arbeit ein Teil des Lebens eines jeden Bürgers ist. Nicht weil man behindert ist, braucht man auch nicht zu arbeiten. Wie viele Leute sagen zu einem: Ach, du bist behindert, warum gehst du nicht in Rente, mein Kind? Ich muss nicht in Rente gehen und ich will es auch gar nicht. Ich will arbeiten“. 

Für Carolina ist es wichtig zu erklären, dass ein Grossteil der von der Beratungsstelle Talento Incluir und anderen Unternehmen und Organisationen, die für die Einbeziehung und Wiedereingliederung von behinderten Berufstätigen arbeiten, gewonnenen Arbeitsstellen, sich an Berufsanfänger richten, so wie dies „im allgemeinen bei allen auch der Fall ist“. Sie unterstreicht aber, „dass die Mehrheit der Behinderten erst am Anfang ihrer Berufslaufbahn stehen, denn sie hatten bisher keine Gelegenheit zur Arbeit bekommen. Unabhängig vom Alter, ob 30, 40, oder 18 Jahre alt, wenn der oder die Behinderte in einem Beruf anfangen, dann müssen sie meist als erste Arbeitsstelle eine Stelle als Rezeptzionistin oder Verwaltungsangestellte annehmen. Ich spreche gerne darüber, denn viele sagen: Wir haben keine Stellen frei! Haben Sie denn Berufserfahrung? Sind Sie denn überhaupt dafür ausgebildet?“

Aus diesem Grunde investiert das Unternehmen, in dem sie Direktorin ist, in den berufstätigen Menschen, um ihn für das Berufsleben zu qualifizieren und es den Behinderten zu ermöglichen, ihren Platz in der Gesellschaft zu erobern, so wie jeder andere Mitbürger auch. Im Bericht Nr. 1 des Observatoriums für den Nationalen Arbeitsmarkt des Ministeriums für Arbeit hat sich folgendes hinsichtlich der Indikatoren in diesem Jahr belegen lassen: „Die Rekordzahlen der Arbeitsbeschaffungsmassnahmen für das erste Quartal des Jahres 2010 lässt sich für Arbeitnehmer mit Behinderung als positiv bestätigen. Im benannten Quartal sind 642 Arbeitsstellen mit Menschen aus dieser Gruppe ausgefüllt worden. Dies ist als ein äußerst positives Resultat anzusehen, wenn man denselben Zeitraum des Jahres 2009 betrachtet, in dem 4000 Arbeitsstellen für diese Gruppe der Werktätigen verlorengegangen sind“.

Für die Gesellschaft ist es positiv zu sehen, dass dieses Quotengesetz immer öfter durchgesetzt und auch immer mehr kontrolliert wird, selbst von Unternehmen, die weniger als 100 Angestellte beschäftigen, denen der Gesetzgeber die Beschäftigung von Behinderten nicht vorschreibt. Davon abgesehen unterstreicht Frau Ignarra: „Wichtiger noch als eine Arbeitsstelle zu bekommen, ist es diese auch zu behalten. Die Gesetze haben mit Sicherheit dabei geholfen, leichter in den Arbeitsmarkt einzutreten, sich aber darin auch behaupten zu können, stellt das gleiche Problem wie für jeden anderen Berufstätigen dar. Für die Unternehmen bedeutet dies eine kulturelle Umstellung in ihrem Verhalten. Für einen Geschäftsführer, der schon seit 30 Jahren im Berufsleben steht, ist es nicht leicht von einem Tag auf den anderen einen Sehbehinderten anzuleiten, der wirklich verschieden ist und auf den Rücksicht genommen werden muss, damit auch wirklicher Respekt vorhanden ist“.

Übersetzung: Thomas Hempfing
Revision: Mônica Moraes