Exklusivinterview: Die Gefahr die aus der Arktis kommt

Russische Forscherin warnt, dass Methangasemissionen auf dramatische Weise die globale Erderwärmung beschleunigen können

Leila Marco

08.01.2016 | Freitag | 11:16 Uhr | Aktualisiert am 22.09. um 16:08 Uhr (Uhrzeit Brasília)

Arquivo Pessoal
Natalia Shakhova

Äußerst ernste Fragen sind von der russischen Wissenschaftlerin Natalia Shakova aufgeworfen worden, die an der Seite ihres Landsmanns Igor Semiletov eine internationale Gruppe von Forschern anführt, die über die steigende Freisetzung von Methangas (CH4) am Meeresboden des arktischen Festlandsockels in Ostsibirien (East Siberian Arctic Shelf – Esas) besorgt sind, der sich an der Nordküste im Osten Russlands befindet. Ihre Beobachtungen zeigen, dass die Konzentration von diesem Gas an einigen Stellen bis zu tausendfach höher ist als erwartet. Den Forschern zufolge kann man im Sommer, wenn das Meereseis geschmolzen ist, das CH4 an der Wasseroberfläche, in beeindruckenden und mächtigen Strukturen kontinuierlicher Drainage von über tausend Metern Durchmesser, hervorsprudeln sehen.

Die russische Wissenschaftlerin, die ebenfalls als Professorin und Forscherin an der Polytechnischen Universität von Tomsk in Sibirien, Russland, sowie an der Universität von Alaska in Fairbanks, Alaska in den Vereinigten Staaten arbeitet, ist weiterhin Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften und war in der Lage einen Platz in ihrem dichtgedrängten Terminkalender zu finden, um der Zeitschrift GUTER WILLE ein Exklusivinterview zu diesem Thema zu geben. Hierbei erklärte die Doktorin für Meeresgeologie und Ph.D. in Geografie, dass es sich bei oben genanntem Phänomen, das von ihr und ihren Kollegen seit 2003 in einer der entlegensten und isoliertesten Gegenden der Welt kartographiert wurde, um das Resultat eines progressiven Auftauens des Permafrostbodens (in der Arktisregion vorhandener Boden, der sich aus permanent gefrorener Erde, Eis und Fels zusammensetzt) handelt, unter dem die Wissenschaftler annehmen, dass dort Millionen bis Milliarden Tonnen von Methan existieren, welches eines der Treibhausgase darstellt, dessen Kapazität Wärme zu halten zwanzig Mal höher liegt als bei Kohlendioxid (CO2), oder auch Kohlenstoffdioxid genannt.

Zu ihrem Kommentar hinsichtlich der Auswirkungen der Entdeckung ihres Teams nutzte Frau Shakova die Gelegenheit eine außergewöhnlich besorgniserregende Tatsache aufzuzeigen: „(…) die Methanquellen in der Arktis sind niemals in den globalen Methanhaushalt mit einbezogen worden, ebenso wie sie nicht in den globalen Klimamodellen auftauchen, die darauf abzielen die zukünftigen Szenarien des Klimas für den Planeten vorherzusehen.“ In anderen Worten, das Freisetzen von CH4, das in dieser unüberschaubar weitläufigen Region existiert, kann dafür verantwortlich sein, dass sich die globale Erderwärmung noch weiter verschärft, und dies noch dazu sehr schnell.

Angesichts dieser Tatsache, dass sich diese besorgniserregende Bild konkretisieren könnte, hebt die Forscherin weiterhin hervor: „Wir hoffen sehr, dass alle Menschen, die auf diesem Planeten leben, damit beginnen sich um den Nächsten und um Mutter Natur auf dieselbe Art und Weise zu kümmern, wie sie dies mit den eigenen Familienmitgliedern tun würden. Dies würde unsere Welt zu einem sichereren und glücklicheren Ort machen.“

GUTER WILLE – Ihr Team hat gravierende Warnungen an die  wissenschaftliche Gemeinde auf der ganzen Welt über die Gefahren einer drohenden Destabilisierung des arktischen Permafrost gerichtet. Wie sieht nun die Forschungsroutine an diesem Ort aus?

Shakova – Der arktische Festlandsockel in Ostsibirien, auf dem wir arbeiten, ist der größte kontinentale Festlandsockel der Welt (mit 2 Millionen Quadratkilometern) und stellt ein unendlich weites Gebiet für Forschungen dar. Als wir mit den Studien begonnen haben, wusste noch niemand von den Methanemissionen. (…) Es war, als würde man eine Nadel im Heuhaufen suchen. Wir hatten das Glück im Jahr 2003 einige aktive Zonen zu finden und glauben, dass es davon noch weitere geben dürfte. 2011 haben wir dann angefangen den Permafrostboden anzubohren, der unter dem Meeresboden liegt. Wir haben unsere Perforationssonde im Festeis installiert und Sedimentproben extrahiert, womit wir den aktuellen Zustand des unter dem Meereswasser gelegenen Permafrostboden erforscht haben, was ein wichtiger Faktor zur Kontrolle der Methangasemissionen des Esas darstellt. (…) Unsere wissenschaftliche Arbeit im Meer schließt Tests und Studien über 24 Stunden am Tag mit ein. Während unserer Expeditionen bleibt dann nicht mehr sehr viel Zeit zum Schlafen.

GW – Welche sind die hauptsächlichen Herausforderungen denen Sie sich vor Ort entgegengestellt sehen?

Shakhova – Abgesehen von logistischen Problemen, ist die Arktis eine äußerst lebensfeindliche Umgebung, in der zu arbeiten immer eine besondere Herausforderung darstellt. Insbesondere in der heutigen Zeit, denn die Region wärmt sich zwei Mal so schnell auf, als der Rest der Welt. Die gesamte Kryosphäre ist davon betroffen: das Meereseis, die Eiskappe und die Permafrostböden. Auch treten Stürme häufiger als früher auf, die Wellen sind höher und es existiert die Möglichkeit auf die sogenannten Riesen- oder Killerwellen zu stoßen, mit bis zu 100 Fuß (ungefähr 30 Meter) an Höhe. Eine solche Welle könnte unser Schiff in Minuten, oder sogar weniger, versenken. (…) Die Durchführung der Expeditionen im Winter wird immer schwieriger, denn das Meereis wird immer dünner, die offenen Wasserstellen inmitten des Eises (die sogenannten Polynjas) wird immer größer und die Periode, in der das Eis anfängt zu brechen, beginnt jetzt immer früher. Vor einiger Zeit wurde unsere Expedition fast von einem solchen Schmelzwasserstrom mitgerissen, der sich - viel früher als vorhergesagt - gebildet hatte und aus der Lena (Fluss in Sibirien) stammte.

GW – Welche Bedeutung hat der arktische Permafrost für den Planeten?

Shakhova – Der Permafrost besteht aus gefrorenem Boden auf den Landgebieten und aus gefrorenen Sedimenten unterhalb des Meeresbodens. Im Esas hat sich der Permafrostboden in den Eiszeiten des Pleistozäns, vor 2,6 Millionen Jahren bis 11,7 Tausend Jahren gebildet. Die letzte Eiszeit fiel mit dem Ende des Pleistozäns zusammen und markierte den Beginn der heutigen, wärmeren Periode: dem Holozän. Die Eiskappen speicherten eine große Menge an Wasser im festen Zustand und von daher war der Meeresspiegel im Pleistozän um bis zu 100 Meter tiefer gelegen, als dies heute der Fall ist. Ein großer Teil der Esas liegt heutzutage in weniger als 50 Metern Tiefe, so dass deren flaches Meeresbett bereits sehr tiefen Lufttemperaturen ausgesetzt war. Die Sedimente der Esas gefroren in wenigen Metern Tiefe und wurden so zum Permafrost, der eine enorme Menge an organischem Kohlendioxid speicherte. Wenn nun die Sedimente, die dieses Material enthalten wieder abschmelzen, so werden enorme Mengen an Methan und Kohlendioxid produziert und in die Atmosphäre freigesetzt, was den Treibhauseffekt drastisch verschlimmert, der heute bereits schon die globalen Klimaveränderungen verursacht. Die intensive Freisetzung von Methangas, das aus den instabilen Ablagerungen auf dem Meeresgrund stammt, würde unvorhersehbare Konsequenzen für unser Klimasystem mit sich ziehen. Diese Auswirkungen aber verbleiben als unsicher, denn die Methanquellen in der Arktis wurden überhaupt noch nicht in den globalen Methangashaushalt mit einbezogen, ebenso wie sie bisher noch keinen Einzug in die globalen Klimamodelle fanden, die darauf abzielen die zukünftigen Klimaszenarien für die Erde vorhersehen zu können. Zielsetzung unserer Forschung ist es diese Wissenslücke zu füllen und so die Zukunft ein wenig vorhersehbarer zu gestalten, und letztendlich unserem Planeten und all den Organismen, die auf ihm existieren – einschließlich uns Menschen – das Überleben zu ermöglichen.

GW – Ist es möglich die Auswirkungen der Methangasemissionen für den Planeten vorherzusehen?

Shakhova – Die Arktis verfügt über große Mengen an Methan, in Form eines vorgeformten Gases, sowie an organischem Kohlenstoff, der beim Abschmelzen des Permafrostbodens, als Substrat für die Methangasentstehung dient. Glücklicherweise verbleibt der Permafrostboden in den terrestrischen Gebieten, der ja weltweit den größten Teil dieser Böden darstellt, weitgehend stabil. Der unterseeische Permafrostboden auf der anderen Seite, durchläuft drastische Veränderungen in seinem Wärmesystem, aufgrund der Erwärmung des Meerwassers und anderen Faktoren. Sie erinnern sich, dass in den Esas sich der Permafrostboden in einer Eiszeitperiode gebildet hat, in der der heutige Meeresboden des Festlandssockels noch nicht unter dem Meeresspiegel lag, sondern den Minusgraden der [Luft]Temperatur ausgesetzt war. Als die Eiskappen begannen abzuschmelzen und die Esas sich mit Wasser füllten, wurden die gefrorenen Sedimente vom wesentlich wärmeren Wasser als der Luft bedeckt, und so stieg unausweichlich die lokale Temperatur bis zum Schmelzpunkt an. Dies ist eine äußerst verstörende Tatsache.

GW – Welches ist das größte Vermächtnis, das Sie mit Ihren Studien hinterlassen möchten?

Shakhova – Was ein Forscher in der Lage ist der Menschheit zu hinterlassen, das ist ein neues Wissen, das den Menschen dabei helfen kann unseren Planeten am Leben und somit gesund zu erhalten. Wir leisten diese Arbeit in der russischen Arktis, bei diesem strengen Klima, wobei wir oftmals unser Leben aufs Spiel setzen, für die Zukunft unserer Kinder und damit jeder einzelne Mensch auf diesem Planeten ein normales Leben führen kann.